Gedenktag
für die Opfer des Nationalsozialismus am 27.01.2010 |
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Im Stadthaus Mannheim rückte zum
ersten Mal an diesem jährlichen Gedenktag eine Opfergruppe in den
Mittelpunkt des Interesses, die noch bis weit in die
Nachkriegsgeschichte hinein weder als Opfer anerkannt noch
rehabilitiert worden ist: Homosexuelle.
Bis in die 60er Jahre hinein wurde der von
den Nationalsozialisten 1935 verschärfte § 175 in dieser
harten Fassung angewandt und erst 1969 abgeschafft. Der deutsche
Bundestag entschuldigte sich 1990 bei dieser Opfergruppe und erkannte
somit die Leiden Homosexueller in der NS-Zeit an, während deren es
zu weit mehr als 40000 Verurteilungen nach § 175 – oft mit
KZ-Internierung im Anschluss an den Gefängnisaufenthalt – kam.
Ungezählte Homosexuelle fanden hier nach fürchterlichen
Misshandlungen auf der untersten Stufe der internen KZ-Hierarchie den
Tod.
Herr Prof. Steinbach von der
Universität Mannheim beleuchtete in seinem Einführungsvortrag
dieses düstere Kapitel unserer Geschichte. Seine Schlussfolgerung
lautet, dass es zwar keinen ‚Homocaust’ in Analogie zum Holocaust
gegeben habe, dass aber die Verfolgung Homosexueller während der
NS-Zeit umfassende Züge angenommen habe.
Neun Schülerinnen und Schüler des
Neigungsfaches 12 Geschichte beschäftigte sich mit einem
Schicksal aus unserer Region, dem Fall des verurteilten Kaplans Anton
S. aus Ketsch.
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Dieser geriet mit 30 Jahren in die
Mühlen der NS-Justiz. Es wurden
ihm homosexuelle Übergriffe gegenüber minderjährigen
Schülern
vorgeworfen.
Ein Vorwurf lautete: „Der Angeklagte ließ einen Arm herunter hängen und kam so mit seiner Hand mit den Knien und Oberschenkeln des betroffenen Knaben in Berührung.“ Obwohl die Anklagepunkte gegen den auch als Religionslehrer in der Volksschule tätigen Geistlichen nicht alle bestätigt werden konnten und in jeder Beziehung Zweifel blieben, wurde der junge Kaplan zu zwei Jahren Haft verurteilt. Nach Absolvierung dieser Strafe kam er umgehend als ‚Rosa Winkel’ – Häftling ins Konzentrationslager Dachau in sogenannte ‚Schutzhaft’, wo er einem Infektionsleiden erlag. Nach dem Krieg wurden in Ketsch nochmals Zweifel an dem Urteil nach § 176 – sexueller Missbrauch von Kindern – auf der Basis von Vergehen nach § 175 laut. Mehrere Leumundszeugen, vor allem Mithäftlinge aus dem KZ in Dachau, meldeten Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verurteilung des Anton S. an. Überprüfungen ergaben, dass Kinder für ihre belastende Aussage unter Druck gesetzt wurden und es entlastende Zeugenaussagen gab, die in der Hauptverhandlung nicht gehört wurden. Der Verdacht tat sich auf, dass Anton S. auch deshalb in den Fokus der NS-Ermittlungen kam, weil er als katholische Geistlicher zur Gruppe der potentiellen Regimegegner gezählt werden musste. Der Verdacht auf Homosexualität schien – wie bei vielen Pfarrern – ein willkommenes Mittel, politische Gegner zu bekämpfen. Trotz aller berechtigten Zweifel an der Rechtsmäßigkeit des Urteils kam es posthum zu keiner Rehabilitation des Geistlichen. Seine Familie musste mit dem wahrscheinlichen Unrechtsurteil und dem frühen Tod von Anton S. leben. |
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(K.Oberländer) |